Leseprobe „Durch die kalte Nacht“

 

Gerhard Prange ist aus dem Gefängnis in Haaren ausgebrochen. Er hat sich einer kleinen Widerstandsgruppe angeschlossen, aber es gelingt ihnen nicht, mit England Kontakt aufzunehmen, und nur durch Glück sind sie bisher der Verhaftung entgangen.

 

Gerhard hielt es nicht länger aus. Sie saßen herum, und es passierte nichts. Sie hatten kein Funkgerät, und sie hatten keinen Piloten, und in der Zwischenzeit zog sich die Schlinge der Gestapo immer weiter zu. Was sollte er tun? Sich von den anderen trennen? Nein, das kam nicht in Frage. Aber nichts tun und warten, das konnte er auch nicht. Er wollte zu Sofieke. Sie wenigstens noch einmal sehen. »Ich fahre nach Den Haag«, sagte er.


»Du bist wahnsinnig«, sagte Arie. Er klappte das Buch zu, in dem er gelesen hatte.


Auch Van Rietschoten schüttelte den Kopf. »Du kannst doch nicht nach Den Haag fahren! Du hast keine Papiere, was willst du machen, wenn du in eine Kontrolle kommst?«


»Das sind zwölf Kilometer«, erwiderte Gerhard. »Ich nehme das Fahrrad, und ich fahre über Seitenstraßen und Feldwege. Mich erwischt keiner!«


Arie erhob sich. »Das ist Wunschdenken, Gerhard. Die Deutschen sind praktisch überall. Die Deutschen und ihre Helfer. Besonders in Den Haag. Wenn du nach Den Haag gehst, bringst du uns alle in Gefahr!«


Gerhard schüttelte den Kopf.


Arie zog seine Pistole. »Ich kann es nicht zulassen, dass du uns in Gefahr bringst. Wenn es nicht anders geht, schieße ich dich nieder!«


Auf einmal herrschte Totenstille im Raum. Alle starrten Arie van der Giessen an.


»Steck die Waffe ein«, sagte Freddy schließlich.


Van der Giessen schüttelte den Kopf.


»Dies ist mein Haus«, sagte Freddy. »In meinem Haus wird nicht geschossen. Steck die Waffe ein.«


Auch Van Rietschoten regte sich jetzt. »Das ist doch alles Unsinn«, sagte er. »Wir sind ein Team, eine Mannschaft. Wir schießen nicht aufeinander. Wenn geschossen wird, dann schießen wir auf die Deutschen ...«


»Gerhard ist ein Deutscher«, stellte Arie fest.


»Ihr wisst alle, dass ich ein Fallschirmagent bin, genau wie ihr auch. Ihr wisst, dass ich auf eurer Seite bin«, erwiderte Gerhard.

 

»Wissen wir das wirklich?« fragte Arie.


»Ich bin von den Deutschen verhaftet worden, genau wie ihr. Ich bin aus dem Gefängnis ausgebrochen, genau wie ihr.«


Arie schüttelte den Kopf. »Da gibt es einen kleinen Unterschied«, sagte er. »Du hast vor deiner Verhaftung für die Deutschen gearbeitet. Du sagst, du hast in Wirklichkeit gegen sie gearbeitet, aber was du gemacht hast, das wissen wir nicht so genau ...«